Ich bin extrem skeptisch gegenüber den Taliban. Dennoch - man sollte sie nicht daran messen, was Taliban vor 20 Jahren gemacht haben. Man sollte sie daran messen, was sie heute tun.
In Afghanistan haben wir eine humanitäre Katastrophe - zweifellos! Ob diese aber ein Drama ohne Gleichen wird, oder ob es "nur" eine Diktatur mehr wird - das hängt maßgeblich daran, was die Taliban die nächsten Monate tatsächlich umsetzen.
Für mich ist schon bemerkenswert, wie wenig Gegenwehr die afghanische Gesellschaft den Taliban entgegenstellt. Faktisch konnte der schnelle Feldzug der Taliban auch nur deshalb gelingen, weil die afghanische Zivilgesellschaft aber auch das afghanische Militär und weitere Sicherheitskräfte nicht gewillt waren, Widerstand zu leisten.
SO wird ein nachhaltiger Wandel der afghanischen Gesellschaft in Richtung Demokratie und Menschenrechte aber nicht gelingen.
Ich akzeptiere völlig, dass Menschen sich nicht kriegerisch betätigen wollen! Nur - die Betroffenen sollten auch akzeptieren, dass nicht selbstverständlich Menschen anderer Staaten dann automatisch bereit sind, ihren Kopf hinzuhalten für Schlachten, die schon auch innerhalb der Bevölkerung Afghanistans ausgefochten werden müssen.
Die Humanitäre Katastrophe in Afghanistan ist Realität - und jetzt gilt es primär noch alle zu retten, die man aus Verantwortung heraus retten sollte. Für die humanitäre Katastrophe in Afghanistan trägt aber nicht nur der Westen eine Schuld, sondern auch die afghanistanische Zivilbevölkerung, die es über mehr als 20 Jahre nicht geschafft hat, eine glaubwürdige mehrheitsfähige Alternative zu den Taliban zu organisieren.
Das ändert nichts daran, dass der Westen alles daran tun sollte, nicht nur die eigenen Mitarbeiter sondern auch die Helfer aus Afghanistan aus dieser Gesellschaft zu retten. Dauerhaft wird eine Rettung der Gesellschaft in Afghanistan aber erst eintreten können, wenn dies auch die eigene Bevölkerung ausreichend hartnäckig selbst will.
Das ist derzeit nicht zu spüren.