Ich sehe bei dem FAZ-Link nur eine Bezahlschranke. Wer den kompletten Text lesen will, findet ihn hier.
Ich nehme mal ein paar Thesen von Thierse heraus.
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Themen kultureller Zugehörigkeit scheinen jedenfalls unsere westlichen Gesellschaften mittlerweile mehr zu erregen und zu spalten als verteilungspolitische Gerechtigkeitsthemen.
Das ist wohl richtig, hat aber eher etwas mit unseren heutigen Quasselmedien zu tun, die solche Themen bevorzugt in ihren Klatschspalten und -sendungen verbreitet. In unserer Zweidrittelgesellschaft interessieren Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen nicht, obwohl es genauso viele Gruppen gibt, die sie ansprechen und diskutieren.
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Wenn Vielfalt friedlich gelebt werden soll, dann muss diese Pluralität mehr sein als das bloße Nebeneinander sich voneinander nicht nur unterscheidender, sondern auch abgrenzender Minderheiten und Identitäten. Dann bedarf es grundlegender Gemeinsamkeiten, zu denen selbstverständlich die gemeinsame Sprache gehört, natürlich auch die Anerkennung von Recht und Gesetz. Darüber hinaus aber muss es die immer neue Verständigung darüber geben, was uns als Verschiedene miteinander verbindet und verbindlich ist in den Vorstellungen von Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, Menschenwürde, Toleranz, also in den unsere liberale, offene Gesellschaft tragenden Werten und ebenso auch in den geschichtlich geprägten kulturellen Normen, Erinnerungen, Traditionen. Solcherart definierte kulturelle Identität ist das Gegenteil von dem, worauf Identitätspolitik von rechts oder gelegentlich auch von links zielt.
Bis zur gemeinsamen Sprache und Anerkennung von Recht und Gesetz (in denen die aufgezählten Werte unserer Gesellschaft manifestiert sind) gehe ich mit ihm mit. Was dann mit den kulturellen Normen, Erinnerungen, Traditionen und später in "Heimat und Patriotismus, Nationalkultur und Kulturnation" folgt, ist wieder nichts anderes als eine Neuauflage der unseligen Leitkultur-Diskussion.
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Und die Pandemie hat gerade wieder erwiesen, wie notwendig diese Solidargemeinschaft, nämlich der nationale Sozialstaat, ist.
Das ist Unsinn. Solidarität in nationalen Grenzen ist keine Solidarität, sondern Egoismus. Grenzüberschreitende Solidarität kommt allerdings bei unseren Rechten nicht gut an; deswegen ist es umso unverständlicher, dass sich ein altgedienter Sozialdemokrat bei denen anbiedert.
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Identitätspolitik, wenn sie links sein will, stellt auf radikale Weise die Gleichheitsfrage. Sie verfolgt das berechtigte Interesse, für (bisherige) Minderheiten gleiche soziale, ökonomische und politische Rechte zu erringen. Sie ist eine Antwort auf erfahrene Benachteiligungen. In ihrer Entschiedenheit ist sie in der Gefahr, nicht akzeptieren zu können, dass nicht nur Minderheiten, sondern auch Mehrheiten berechtigte kulturelle Ansprüche haben und diese nicht als bloß konservativ oder reaktionär oder gar als rassistisch denunziert werden sollten.
Was sind "berechtigte kulturelle Ansprüche" der Mehrheit? Über die Erfüllung von Ansprüchen einer Minderheit bestimmen zu können?
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Menschen, die andere, abweichende Ansichten haben und die eine andere als die verordnete Sprache benutzen, aus dem offenen Diskurs in den Medien oder aus der Universität auszuschließen, das kann ich weder für links noch für demokratische politische Kultur halten.
Niemand wird aus dem Diskurs in den Medien ausgeschlossen. Aber manche Leute verstehen unter Meinungsfreiheit offenbar, nicht nur ihre Meinung frei äußern zu dürfen, sondern auch unwidersprochen.
Auf seine "Bilderstürme" gehe ich jetzt nicht groß ein, Wer meint, in Demokratien dürfe man rassistische Straßennamen oder Denkmäler genauso wenig tilgen wie Nazigrößen, der hat nichts kapiert.