#1

Der Selbstbetrug

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 25.03.2018 11:00
von Anthea | 12.415 Beiträge

Nicht derjenige, der die Täuschung einem anderen gegenüber zum Ziel hat, indem jemand „Rollenspiele“ betreibt, sich eine andere Vita bastelt oder einfach nach dem Motto handelt „Wer angibt, hat mehr vom Leben“, sondern ich meine das im Sinne von Paulus von Tarsus in Galaer 6.3, der dort zitiert wird mit „Denn wenn jemand meint, er sei etwas, obwohl er doch nichts ist, der betrügt sich selbst“.

Ist im Grunde genommen jedoch der Selbstbetrug eine Art von Überlebenshilfe? Zur Vermeidung, sich einer ungeschminkten Wahrheit über sich selbst stellen zu müssen? Niederschmetternd, wie es der Königin in „Schneewittchen“ ergangen sein muss, deren Spiegel ihr nicht mehr schön tat.

Ich nehme mal ein ganz profanes Beispiel einer Liebesbeziehung, die ins „Aus“ gerät. Hierbei nun verarbeitet möglicherweise ein jeder dies anders. Einer geht zur Tagesordnung über und verdrängt die Zeit, sperrt sie ins Hinterstübchen, die mit Erinnerungen voll ist. Abrufbar, wenn vielleicht irgendwann einmal ein déjà vu geschieht. Da war doch was…
Der andere Partner jedoch leidet, denn er/sie liebt weiter. Baut nunmehr eine Mauer um seine Seele auf, um nicht an seiner emotionalen Trauer zu zerbrechen. Und versucht, Liebe durch Hass zu ersetzen. Da dieser vermeintlich leichter zu ertragen sei. So geht dann der Selbstbetrug weiter, wenn der-/diejenige schon während der Beziehungszeit sich alles schön gedacht und geträumt hatte. Was heißt, dass realistische Betrachtungsweise nicht in „Die Träne quillt, die Erde hat mich wieder“ zum Tragen kommt.

Gott sagte in der Geschichte vom brennenden Dornbusch „Ich bin, der ich bin“. Wenn man sich dem „Ich bin, wie ich bin“ stellen würde, so wäre das ein ehrliches Zugeständnis an sich selbst, so man es lediglich sich selbst gegenüber so äußern würde. Sagt man es jedoch zu anderen, dann muss das nicht echt sein, sondern kann Vermittlung eines Bildes bedeuten, welches man selbst von sich gemalt hat. Was wiederum eine Art von Selbstschutz sein könnte, um Verletzbarkeit zu verstecken.

Sich verstecken, in eine andere Haut schlüpfen wollen, verbal oder optisch. Wenn eine Frau meint, dass sie sich durch eine Körbchengröße identifizieren muss und somit sich unters Messer legt. Ist das schon Selbstbetrug oder ein Angriff gegen die eigene individuelle Persönlichkeit? Sozusagen „enhancement“? Oder ist das alles unter Selbstverwirklichung zu betrachten auf der Suche nach sich selbst?

Max Frisch schrieb: „Jeder erfindet früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält.“

„Lache, Bajazzo“ oder wie Jean de Bruyère empfahl:
„Man muss lachen, bevor man glücklich ist, weil man sonst sterben könnte, ohne gelacht zu haben“.

Weiß man(n)/frau überhaupt, wer man wirklich ist?

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Um das Herz und den Verstand eines anderen Menschen zu verstehen, schaue nicht darauf, was er erreicht hat, sondern wonach er sich sehnt. (Khalil Gibran)
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#2

RE: Der Selbstbetrug

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 25.03.2018 12:08
von woipe (gelöscht)
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das zitat von max frisch ist meines erachtens zutreffend.

jeder mensch hat seine, ich formuliere das etwas anders, lebenslügen.
und ich schließe mich dabei nicht aus.
die meisten meiner lebenslügen kenne ich jedoch inzwischen.
da stellt sich die frage: weiter pflegen oder damit aufräumen?
und wenn man sich für das aufräumen entschließt - wie sieht es mit dem gesichtsverlust aus?


"nichts habe ich mir fester zum grundsatz gemacht, als meine lebensführung nicht nach euren vorurteilen zu gestalten." seneca
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#3

RE: Der Selbstbetrug

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 25.03.2018 17:41
von Anthea | 12.415 Beiträge

Zitat von woipe im Beitrag #2
das zitat von max frisch ist meines erachtens zutreffend.

jeder mensch hat seine, ich formuliere das etwas anders, lebenslügen.
und ich schließe mich dabei nicht aus.
die meisten meiner lebenslügen kenne ich jedoch inzwischen.
da stellt sich die frage: weiter pflegen oder damit aufräumen?
und wenn man sich für das aufräumen entschließt - wie sieht es mit dem gesichtsverlust aus?


Zuerst einmal müsste man sich klar machen, dass es einen Selbstbetrug gibt und man selbst auch davon befallen ist. Und natürlich gehört dann das "Gesicht wahren wollen" zu der Rolle, die man nach außen gespielt hat und die aufzugeben im Sinne von Ehrlichkeit schwer fällt.
Es fällt doch vielen schon schwer, sich zu entschuldigen oder zuzugeben, dass sie sich geirrt haben. Da denken gar manche, dass sie sich einen Zacken aus der Krone brechen, die sich selbst aufs Haupt gesetzt haben.
Das Prekäre ist im Übrigen, dass wir selbst von uns Momentaufnahmen machen, uns somit auch so sehen (wollen), wie es gerade am Günstigsten, Sichersten, Bequemsten erscheint. Also wider die Ehrlichkeit und des "erkenne dich selbst".

"Selbstbetrug ist leider angeboren", so ein älterer Artikel aus der WELT.

https://www.welt.de/wissenschaft/article...-angeboren.html

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Um das Herz und den Verstand eines anderen Menschen zu verstehen, schaue nicht darauf, was er erreicht hat, sondern wonach er sich sehnt. (Khalil Gibran)
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#4

RE: Der Selbstbetrug

in Allgemeine philosophische Betrachtungen 25.03.2018 22:05
von woipe (gelöscht)
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Zitat von Anthea im Beitrag #3

Zuerst einmal müsste man sich klar machen, dass es einen Selbstbetrug gibt und man selbst auch davon befallen ist. Und natürlich gehört dann das "Gesicht wahren wollen" zu der Rolle, die man nach außen gespielt hat und die aufzugeben im Sinne von Ehrlichkeit schwer fällt.


wie schon gesagt - ich schließe mich nicht aus, weil ich doch schon einige meiner lebenslügen kenne.
ich kann tief in meiner seele durchaus sehr ehrlich mit mir umgehen, weswegen ich durchaus ein etwas angeschlagenes selbstbewusstsein habe. einen offenen seelenstriptease jedoch sehe ich nicht als erforderlich an, da es um meine lebenslügen geht - meine selbsttäuschungen und auch schutzmechanismen. soll man all das offen zugeben und aufgeben, sich für andere angreifbar machen? ich denke, wenn das jeder täte, würden wir ratzfatz mit einer sehr viel höheren selbstmordquote leben müssen, um ein böses hauen und stechen zu vermeiden. man würde also die eine flucht durch eine endgültigere ersetzen...

Zitat von Anthea im Beitrag #3
Es fällt doch vielen schon schwer, sich zu entschuldigen oder zuzugeben, dass sie sich geirrt haben. Da denken gar manche, dass sie sich einen Zacken aus der Krone brechen, die sich selbst aufs Haupt gesetzt haben.


mich für meine fehler zu entschuldigen habe ich gelernt. wenn ich mich wirklich geirrt haben sollte, dann kann ich das auch zugeben. mit selbstbetrug bzw. lebenslügen hat das jedoch meines erachtens allenfalls mit dem stil zu tun, den man letztlich pflegen will.

Zitat von Anthea im Beitrag #3
Das Prekäre ist im Übrigen, dass wir selbst von uns Momentaufnahmen machen, uns somit auch so sehen (wollen), wie es gerade am Günstigsten, Sichersten, Bequemsten erscheint. Also wider die Ehrlichkeit und des "erkenne dich selbst".


da geht es wohl um das naturel des menschen. es ist nicht wichtig das richtige zu tun, sondern das, was den besten profit, bzw. die besten chancen zur selbsterhaltung bietet.

Zitat von Anthea im Beitrag #3
"Selbstbetrug ist leider angeboren", so ein älterer Artikel aus der WELT.

https://www.welt.de/wissenschaft/article...-angeboren.html


netter artikel...


"nichts habe ich mir fester zum grundsatz gemacht, als meine lebensführung nicht nach euren vorurteilen zu gestalten." seneca
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